Alte Uusdröck und Brüüch rund ums Sterba
Gepflogenheiten rund ums «Sterba i früara Zita».
In den letzten Jahrzehnten hat sich im Zusammenleben in unserem Dorf sehr viel verändert. Das trifft auch zu, wenn wir das das Geschehen rund um das Sterben eines Menschen genauer betrachten. Manches Brauchtum, das die Sterbenden in ihren letzten Stunden und die trauernden Hinterbliebenen begleitet hat, ist verschwunden. Es musste der Hektik unserer Zeit, den veränderten Wohnverhältnissen und Lebensgewohnheiten weichen. Die jüngere Generation kann sich vieles nicht mehr vorstellen, was noch vor fünf-sechs Jahrzehnten bei einem Todesfall üblich war. Vieles vom Brauchtum beim «Stärba» ist ebenfalls «gestorben»
Wir wollen daher im Nachstehenden auf die damals üblichen Gepflogenheiten eingehen.
Der Versehgang / Versächa
Da bis weit ins 20. Jahrhundert die meisten Menschen in unserer Gegend katholisch waren, wurden sie kurz vor ihrem Tod, solange sie noch ansprechbar waren, von einem Priester mit den hl. Sterbesakramenten «versächa»
Der Priester machte diesen Gang, damals noch zu Fuss, zum Haus des Sterbenden bekleidet mit Chorrock und Stola, und die hl. Kommunion und das hl. Öl auf sich tragend. Begleitet wurde er vom Mesmer, der die Laterne trug und einem Ministranten mit einer Altarglocke. Wenn ihnen auf diesem «Versächgang» Leute begegneten, läutete der Ministrant mit dem Glöcklein; die Person machte eine Kniebeuge oder kniete kurz nieder und empfing den Segen des Priesters.
Die letscht Ölig / Krankensalbung
Im Haus des Sterbenden wurde alles hergerichtet für die «letscht Ölig». Auf einem Tisch wurde ein weisses, mit religiösen Motiven besticktes Tuch, das «Versächtuach», ausgebreitet und das «Versächzüg» – ein Kruzifix, ein Schälchen mit Weihwasser, eines mit Watte und ein kleines Gefäss für das hl. Öl — aufgestellt.
Der Priester nahm die Beichte ab, reichte dem Sterbenden die hl. Kommunion und spendete dem Sterbenden «die letscht Ölig» indem er ihn an den fünf Sinnen – Augen, Ohren, Nase, Mund und Händen – salbte. Danach wurden dem Kranken «s‘ Stärbekrüzli» und «s’Noschter» (der Rosenkranz) in die gefalteten Hände gegeben. Auf der Todesanzeige stand dann: «Er/sie starb wohlversehen mit den Tröstungen der hl. Religion». Nahe Verwandte und Nachbarn kamen zum Gebet; das wurde «z’Endbäta»genannt.
Dahom Uufbahrat
Der/die Verstorbene wurde noch zu Hause aufgebahrt, im Bett im abgedunkelten Raum mit einem Leinentuch bedeckt. Die Leiche wurde mit dem «Sunntigs-Hääss» bekleidet. Neben dem Totenbett brannten geweihte Kerzen.
Ein Schreiner wurde beauftragt von der Leiche Mass zu nehmen und einen «Totabomm» (Sarg) anzufertigen. Am Vortag der Beerdigung, die jeweils spätestens 3 Tage nach dem Ableben stattfand, wurde die Leiche vom Schreiner in den Sarg gelegt («iigsargat»). Der Sarg wurde dann in der Stube aufgebahrt.
Bis Ende der 70er Jahre gab es in Eschen keine Totenkapelle. Ab Anfang der 60er Jahre diente die Rofenberg-Kapelle als Totenkapelle. Die erste Leiche, die dort aufgebahrt wurde, war der damalige Landtagspräsident, Alt-Regierungschef Dr. Josef Hoop, im Oktober 1959.
Totenglocke
Nach dem Ableben wurde die Totenglocke geläutet. Bei uns – wie heute noch – mit der zweitkleinsten Glocke. Weil man nicht gleich im Gemeindekanal nachschauen konnte, wer gestorben ist, verbreitete sich die Kunde in dem noch kleinen Dorf rasch per Mund-Funk. Beim aufmerksamen Hören des Totengeläutes konnte man feststellen, ob eine Frau oder ein Mann gestorben ist. Wenn während des Läutens 1‑mal «untrzoocha» wurde (das Läuten ganz kurz unterbrochen wurde) war die verstorbene Person eine Frau, wurde 2‑mal «untrzoocha» ein Mann. Starb ein Kind wurde mit der kleinsten Glocke geläutet.
Todesanzeige
Todesanzeigen wurden immer an alle Haushalte der Wohngemeinde, bei bekannteren Personen meist im ganzen Unterland und auch an Verwandte und Bekannte auswärts verteilt. Im Laufe der Zeit kam dann auch das Foto auf die Todesanzeige.
Dahom bäta / wacha
An jedem Abend bis zur Beerdigung beteten Verwandte und Bekannte in der Kirche den Seelenrosenkranz. Es war Ehrensache, dass aus jedem Haus jemand teilnahm. Nach dem Seelenrosenkranz in der Kirche versammelten sich die Leute im Haus des/der Verstorbenen um abermals einen Rosenkranz, sowie die Litanei zu beten. Die Litanei betete eine Person aus dem Viertel vor, im Hinterdorf war das meistens dr alt Öhri (Rochus Öhri 1882 – 1946). Als er wieder einmal die Litanei vorbetete: «hl. Jakobus…, hl. Johannes… usw.», bemerkte er mit Schrecken, dass die nächste Seite im alten Gebetbuch fehlte und rief: «sie ischt ussa gropft» (sie ist herausgerissen) und die anwesenden Beter antworteten gewohnheitsmässig: «bitt für uns«!
Da in den alten Häusern die Böden oft morsch und beim Andrang vieler Leute nicht mehr tragfähig genug waren, mussten sie im Keller mit Balken und Stützen «untrstipperat» (unterbaut) werden.
Nach dem Rosenkranz zu Hause blieben jeden Abend vier-fünf Leute aus der Verwandtschaft / Nachbarschaft zur Totenwache (zum «wacha») im Trauerhaus zurück bis am frühen Morgen. Es soll hie und da vorgekommen sein, dass in den Nächten beim «wacha» mit Most und Schnaps und «Getoder» (Geschwätz) die Ehrfurcht und Pietät zu wünschen übrigliess.
Anfangs der 60er Jahre wurde dann der Brauch nach dem Seelenrosenkranz in der Kirche auch noch einen Rosenkranz im Trauerhaus zu beten und das anschliessende «wacha» aufgelassen. Dies sicher zur Erleichterung der Trauerfamilien!
Met dr Lich goo / Is Grab lüta
Damals sagten bei uns die wenigsten Leute “I gang marn zur Beerdigung”, sondern: “I gang marn met dr Lich” (ich gehe morgen mit der Leiche). Nachdem die Verstorbenen am Beerdigungstag – da es die Totenkapelle noch nicht gab – zuhause abgeholt und in einer Prozession zum Friedhof begleitet wurden, war auf der Todesanzeige immer angeführt: Abgang vom Trauerhaus um … Uhr. Je nach Entfernung des Trauerhauses von der Kirche war der Abgang verschieden. Eine Stunde vor der Beerdigung wird “is Grab glütat” (Geläute mit allen Glocken).
Dem Leichenzug voran wurde die schwarze Fahne und das schwarze Kreuz getragen. Dann folgten die Schüler (die Volksschulklassen waren bei den Beerdigungen dabei), die Kranzträger (meist die ältesten Schüler), “dr Krüzliträger” (Nachbarbub mit dem Grabkreuz), “s’Seelalichtli” (Nachbarin mit dem Seelenlicht) und der Totenwagen (Pferdegespann). Dahinter die Sargträger (Nachbarn oder bei einem Vereinsmitglied Vereinskollegen). Es folgten dann dem Sarg die trauernden Angehörigen, die Verwandten und dann die teilnehmenden Männer und am Schluss die Frauen. Bei einem Vereinsmitglied wurde ein Emblem (z.B. Musikinstrument, Vereinsmütze usw. auf den Sarg gelegt).
Die Prozession zum Friedhof musste oft grössere Wegstrecken zurücklegen (Aspen, Müssnen, Nendeln). Wenn jemand von Aspen, Müssnen oder Schönbühl starb, führte der Leichenzug über Rofenberg – beim “Kappele” vorbei — zum Friedhof (die “Kappele-Glöckli” wurden geläutet).
Beerdigung
Bei der Ankunft beim Friedhof wurde der Sarg vor dem Friedhofeingang abgestellt und vom Priester eingesegnet. Dann folgte das Begräbnis und anschliessend der Trauergottesdienst. Bis die Leute aus der Kirche kamen war das Grab von den Sargträgern eingefüllt und der Grabhügel mit den Kränzen und Blumen belegt. Für einige Jahre war der Ablauf der Beerdigung geändert. Der Sarg wurde nach der Einsegnung in die Kirche getragen und während des Gottesdienstes vor dem Altar aufgestellt; die Beerdigung folgte nach dem Gottesdienst.
Der Nachruf/Lebensdaten während des Gottesdienstes wurden immer vom Pfarrer gehalten. Dabei wurde manchmal so sehr gelobt, dass im Volksmund die Überzeugung vorherrschte, dass nirgends so viel übertrieben werde wie bei einem Nachruf.
Büachli — Kerzen
Die verwandten Frauen trugen beim Leichenzug, Beerdigungsgottesdienst und bei den Gedächtnissen (“Öpfera”) gelbe Kerzenrodel, man nannte sie bei uns “Büachlikirza”.
Zum Opfer goo
Für die Schüler war der Opfergang bei den Beerdigungen immer etwas Spannendes. Alle Besucher des Gottesdienstes – zuerst die Männer, dann die Frauen – “sin zum Opfer ganga”. Vorne in der Kirche stand der Opferstock (Holzständer mit einer hölzernen Schüssel oben). Alle gingen also nach vorn und warfen ihr Opfer (Geld) in den Opferstock Das gab den Schülern die Möglichkeit die vorbeilaufenden Leute zu zählen und sie wussten nach jeder Beerdigung ganz genau, wie viele Männer und Frauen anwesend waren.
Die Verwandten waren nicht wie heute zusammen in den Bänken, sie waren strikte getrennt; die Männer auf der Männerseite, die Frauen auf der Frauenseite. So wie es damals der Brauch war. Man konnte sich zu dieser Zeit gar nicht vorstellen, dass eine Frau auf der Männerseite in einer Bank war oder umgekehrt.
Mässa stefta / Messa verkünda
Während der Totenmesse verkündete der Pfarrer jeweils wie viele Messen von der Trauerfamilie, von Verwandten und Bekannten und von Vereinen gestiftet wurden. So konnte vielfach auf den Bekanntheitsgrad und die Grösse des Freundeskreises geschlossen werden.
D‘ Öpfer / Gedächtnisse
Am Sonntag nach der Beerdigung wurde eine Messe für die verstorbene Person als 1. Opfer (heute Siebenter) gefeiert. Schon am Sonntag danach wurde das 2. Opfer (heute Dreissigster) abgehalten auch jeweils mit Grabbesuch des Priesers nach dem Gottesdienst.
Johrzit / Ewigi Johrzit
Von der Familie wurde dann auch fast immer “a Johrzit” (eine Messe über 25 Jahre, die jährlich um den Todestag gelesen wurde) gestiftet. In einigen Fällen wurde “a ewige Johrzit” gestiftet d.h. eine Messe, die für ewige Zeiten jährlich gelesen wird. Für diese Stiftmessen musste ein bestimmter Geldbetrag im Voraus bezahlt werden. Vom Pfarramt wurde dann ein entsprechendes Zertifikat ausgehändigt.
Stärbbeldli / Sterbeandenken
Zum Andenken an das verstorbene Familienmitglied wurde – wie das heute auch meistens noch gemacht wird – “a Sterbbeldli” angefertigt und an Freunde und Bekannte als Dank für die Anteilnahme versendet. Diese Sterbeandenken enthalten meist ein Foto mit den Lebensdaten der verstorbenen Person und meistens einen Spruch. Früher fehlte oft das Bild; die “Sterbbeldli” waren jedoch mit einem Gebet/Stossgebet versehen und der Hinweis der Familie der/des Verstorbenen im Gebete zu gedenken, durfte nicht fehlen. Solche Bildchen fanden sich dann in den Gebetbüchlein und oft sah man sie in der Stube (im Glaskasten) aufgestellt.
Grabrede Nachruf
Bei wichtigen Persönlichkeiten gab es auch eine Grabrede. Diese Rede wurde aber – im Gegensatz zu heute – immer vor dem offenen Grab, also auf dem Friedhof, gesprochen. Heute finden Trauerreden immer in der Kirche statt.
In den Zeitungen folgte in der Regel ein Nachruf. Meistens wurden auch die Grabreden in der Zeitung abgedruckt.
Totamohl
Nach der Beerdigung lud die Trauerfamilie Verwandte, Freunde, Auswärtige und Sargträger zu einem “Totamool” ein, das von Frauen aus dem Dorf vorbereitet wurde. Für Bessergestellte fand der Anlass wohl damals schon in einem Gasthaus statt.
Grabschmuck
Der Grab- und Blumenschmuck war früher nicht so üppig wie heute, da es im Unterland lange keine Gärtnereien gab. Da kamen Gartenblumen zum Einsatz und im Winter Tannenzweige und Bux — Stauden.
Es gab auch künstliche Kränze mit Stoffblumen, die in düsteren Farben, einem dunklen Grün und Violett gehalten waren. Diese Kränze wurden in grossen Schachteln in der “Oberteli” (Estrich) aufbewahrt und an Allerheiligen wieder auf die Gräber gelegt.
Familienmitglieder und Verwandte waren nach einem Todesfall als Ausdruck der Trauer schwarz gekleidet. Diese Trauerbekleidung wurde je nach Verwandtschaftsgrad bis zu einem Jahr (z. B. bei Eltern) und abgestuft je nach Verwandtschaftsgrad über eine kürzere Dauer getragen. Die Frauen trugen während der Trauerzeit schwarze Kleider, die Männer eine schwarze Krawatte und einen schwarzen Knopf am “Tschopa-Kraga” (Revers). Diese äusseren Zeichen der Trauer sind heute stark eingeschränkt oder werden gar nicht mehr beachtet.
Grabstätten
Bis in die 60er Jahre war in Liechtenstein nur die Erdbestattung erlaubt.
Armenseelen-Bruderschaften
So eine Bruderschaft gibt es auch im Unterland, nämlich die “Erzbruderschaft vom heiligen Rosenkranz“. Noch in den 50er Jahren hat Pfarrer Jenal in Eschen die Erstkommunikanten jeweils feierlich in diese Bruderschaft aufgenommen. Heute noch werden in der Bruderschafts-Kirche in Bendern alle zwei Monate am letzten Sonntagnachmittag für die verstorbenen Bruderschafts-Mitglieder Stationen-Andachten und am darauffolgenden Dienstagabend das Bruderschafts-Amt gehalten (heute für alle innerhalb von zwei Monaten Verstorbenen des Unterlandes). Solche Bruderschaften gibt oder gab es auch in verschiedenen Gemeinden des Oberlandes.
Fotos: «Versehtisch» und «Büachlikirza» aus Buch «Christliches Liechtenstein – Kirchen, Kapellen und Zeichen des Glaubens»; Herausgeber «Hand in Hand, Balzers»; © Medienbuero Oehri & Kaiser AG, Eschen, «Aufbahrung» und «Leichenzug» Verein Dorfgeschichte Eschen-Nendeln